Als im Mai 1945 die letzten Kämpfe in Berlin tobten, war der Reichstag – einst Symbol parlamentarischer Macht – kaum mehr als eine Ruine. Das imposante Gebäude, das Jahrzehnte zuvor errichtet worden war, stand nun als stiller Zeuge für den Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes und das Ende eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte.
Der Reichstag war bereits 1933 durch einen verheerenden Brand schwer beschädigt worden. Dieses Ereignis wurde von den Nationalsozialisten instrumentalisiert, um politische Gegner auszuschalten und die Weimarer Demokratie zu beenden. Doch was 1933 begann, fand zwölf Jahre später in den Trümmern Berlins ein gewaltsames Ende. Die letzten Tage des Krieges waren geprägt von erbitterten Kämpfen zwischen der Roten Armee und den verbliebenen deutschen Truppen – viele von ihnen kaum mehr als Jugendliche oder alte Männer.
Am 30. April 1945 hissten sowjetische Soldaten auf dem Dach des zerstörten Reichstags die rote Fahne. Dieses ikonische Bild – oft nachgestellt und inszeniert – ging um die Welt und markierte den militärischen Sieg der Alliierten über das nationalsozialistische Deutschland. Für viele bedeutete es auch ein Symbol der Befreiung von Tyrannei und Krieg. Für andere war es ein Zeichen der totalen Niederlage und der beginnenden Teilung Europas.
Berlin war zu diesem Zeitpunkt kaum wiederzuerkennen. Über 600.000 Wohnungen waren zerstört, die Infrastruktur lag brach, und Millionen Menschen kämpften ums Überleben. Inmitten dieser Ruinen wurde der Reichstag zu einem Mahnmal – nicht wegen einer offiziellen Widmung, sondern durch seine pure Existenz. Die zerschossene Kuppel, die von Granatsplittern durchbohrten Mauern und die schwarzverkohlten Wände erzählten eine Geschichte, die kein Geschichtsbuch besser wiedergeben konnte.
Nach dem Krieg blieb der Reichstag lange Zeit ungenutzt. Die politische Macht verlagerte sich nach Bonn, dem neuen Regierungssitz der Bundesrepublik. Erst mit der Wiedervereinigung 1990 und dem Umzug der Bundesregierung zurück nach Berlin wurde das Gebäude grundlegend renoviert und 1999 wieder als Sitz des Bundestages eingeweiht. Heute steht der Reichstag – mit seiner gläsernen Kuppel – für Transparenz, Demokratie und einen Neuanfang.
Doch das Bild von 1945 bleibt im kollektiven Gedächtnis haften. Es erinnert uns daran, wie schnell Freiheit, Frieden und gesellschaftlicher Zusammenhalt zerstört werden können. Die Ruinen von damals sind nicht nur architektonische Trümmer – sie sind Träger von Erinnerung, Mahnung und Verantwortung.
Der Reichstag ist nicht nur ein Gebäude. Er ist ein Symbol. Er war Zeuge der ersten deutschen Demokratie, ihrer Zerstörung durch die Nationalsozialisten, des Krieges, der Teilung und der Wiedervereinigung. Wer heute durch die Halle der Namen im Inneren des Bundestags geht oder die Inschriften sowjetischer Soldaten an den Wänden betrachtet, spürt die Schwere der Geschichte.
Diese Geschichte verpflichtet. Sie verpflichtet uns, wachsam zu sein gegenüber autoritären Tendenzen, Intoleranz und Geschichtsvergessenheit. Der Reichstag im Mai 1945 ist ein Mahnmal aus Stein, aber seine Botschaft ist lebendig: Nie wieder Krieg. Nie wieder Diktatur. Nie wieder Menschenverachtung.